Ferdinand Langer: Stadt Leimen

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Ferdinand Langer

Kapellmeister und Komponist, geboren 1839 in Leimen

Am 21. Januar 1839 wurde in Leimen ein Knabe geboren, der in seinem späteren Leben zu einer Musikpersönlichkeit von nationaler Bedeutung heranreifte: Ferdinand Langer.

Da die vorstehende Aussage etwas vollmundig erscheinen mag sei hier vorweggenommen, dass Langer neben seiner kompositorischen Arbeit zunächst als zweiter, später als erster Hofkapellmeister am Hof- und Nationaltheater in Mannheim wirkte. Das Mannheimer Theater aber – und da insbesondere das Musiktheater- zählte damals längst neben München, Stuttgart, Darmstadt, Kassel, Hamburg zu den bedeutensten Häusern im Lande.

Dazu hatte Kurfürst Carl Theodor in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Voraussetzungen geschaffen, indem er in der damaligen Zeit so bekannte und bedeutende Musiker wie Vater und Sohn Stamitz, Franz Xaver Richter, Franz Danzi und Christian Cannabich an seinen Hof engagierte.

Unter Johann Stamitz hatte sich Mannheim ein Orchester entwickelt, das allerersten europäischen Ansprüchen gerechnet wurde.

Auch Wolfgang Amadeus Mozart weilte wiederholt in Mannheim und gab – wie auch in Schwetzingen-Konzerte vor dem Kurfürsten.

Mozarts Begeisterung über das Mannheimer Orchester wurde natürlich gerne registriert. Nebenbei sei erwähnt, dass Mozart in Mannheim seine spätere Ehefrau Constanze Weber kennen lernte; diese übrigens war eine Cousine des bekannten Komponisten romantischer Opern, Carl Maria v. Weber.

Man kann sich nun wohl recht gut vorstellen, welch hohem künstlerischen Ansprüchen der erste Mann am Dirigentenpult des Mannheimer Theaters gerecht werden musste und vermag so die musikalische Begabung Ferdinand Langers uns seine Bedeutung zu seinen Lebzeiten besser einzuordnen.

Nach diesen Hintergrundinformationen wollen wir uns nun Ferdinand Langers Lebenslauf zuwenden. Als der kleine Ferdinand in Leimen geboren wurde, war sein Vater, Joseph Michael Langer, als Lehrer der katholischen Schule unseres Ortes tätig. Er wirkte hier von 1838 bis 1842.

Dann wurde Vater Langer nach Langenbrücken versetzt; wegen einer unbedachten Äußerung gegen den Großherzog geriet er von dort in das Gefängnis nach Bruchsal, wo er sechs Wochen Haft absitzen musste. Sogar die Todesstrafe hatte man ihm angedroht.

Selbstverständlich verlor Joseph Michael Langer gleichzeitig sein Amt als Lehrer und musste der Unterhalt für seine zehnköpfige Familie fortan als Reisender verdienen.

Merkwürdigerweise wurde die Familie nach der Haftentlassung des Vaters ausgerechnet in Bruchsaal ansässig, was allerdings auch sein Gutes hatte. In Bruchsal nämlich gab es eine Musikschule, die Ferdinand Langer besuchte und das Violoncello-Spiel erlernte.

Die außergewöhnliche musikalische Begabung des Sohnes Ferdinand war Vater Langer zu diesem Zeitpunkt längst bewusst.

Es muss beeindrucken, dass Ferdinand bereits nach nur wenigen Monaten der Ausbildung sein erstes öffentliches Konzert gab. Im Alter von nur sechzehn Jahren äußerte der junge Langer zielstrebig den Wunsch, zur musikalischen Weiterbildung nach Mannheim übersiedeln zu dürfen. Der Vater zeigte für das Anliegen seines begabten Sohnes durchaus Verständnis; allerdings musste zu dessen Realisierung die ohnehin karge Familienkasse restlos geleert werden. Man muss sich einmal vergegenwärtigen, welch gewaltige innere Kräfte in jener unsicheren Zeit bei einem so jungen Menschen wirksam geworden sein mussten, um eine solche Vorstellung heranreifen zu lassen!

Hier deuten sich erstmals Zielstrebigkeit und Selbstvertrauen des jungen Künstlers an, Eigenschaften, die langer sein leben lang begleiteten. Auf unerwartete einfache Arte und Weise konnte Ferdinand Langer kurz darauf in Mannheim Fuß fassen: Ein mehr zufälliges Gespräch während einer Probenpausen des Mannheimer Orchesters brachte ihn mit dem Cellisten Heinefetter, einem " Kammermusikus ", zusammen.

Dieser zeigte sich beeindruckt von den klaren Künstlerischen Vorstellungen unseres jungen Springinsfeld und nahm ihn mit zu sich nach Hause. Ferdinand wohnte fortan bei den Heinefetters und hatte Kost und Logis frei. Seine Gegenleistung bestand in der Erledigung alltäglicher Hausarbeiten; er erwies sich dabei als sehr zuverlässig. Kein Wunder, denn seine " Entlohnung " – oder sollte man hier nicht besser von " Entgegenkommen " sprechen? – bestand aus kostenlosem Musikunterricht durch den Kammermusikus Heinefetter.

Der Zufall, der bei großen Persönlichkeiten so oft am Anfang ihrer Laufbahn steht, half auch Ferdinand rechtzeitig weiter: Eines Tages musste einer der vier Cellisten des Orchesters Proben und Aufführung von Wagners " Tannhäuser " wegen Krankheit absagen. Hinsichtlich des Engagements eines Aushilfsmusikers dachte Heinefetter natürlich sofort an seinen Lieblingsschüler Ferdinand und brachte diesen mit zum Orchester.

Von dem für seine Strenge bekannten, ja auch gefürchteten ersten Hof-Kapellmeister Vincenz Lachner ( einer der drei berühmten Lachner Brüder Vincenz, Franz und Ignaz, allesamt bedeutende Musikpersönlichkeiten ) erhielt Langer die Anweisung, ja nicht mitspielen sondern lediglich "mitzutun"; seine Aufgabe sei das "Besetzen" eines leeren Orchesterstuhles und nichts weiter.

Man mag sich nun in Ferdinand Langers Gedanken- und Gefühlswelt hineinversetzen, um zu erkennen, dass es mit diesem "Befehl" nicht gut gehen konnte. Oder etwa doch?

Jedenfalls spielte Ferdinand entgegen der strengen Anweisungen mit dem Orchester mit; nur zu "mimen" war für das mit Macht nach außen drängende Genie schon damals undenkbar.

Kapellmeister Lachner beobachtete das "undisziplinierte" Treiben Langers zunächst missmutig. Schließlich "klopfte" er das Orchester ab und jeder Musiker glaubte zu wissen, was dies zu bedeuten hatte. Aber – die Musiker irrten sich.

Satt einer Standpauke an Ferdinand Langer fragte Vincenz Lachner unseren jungen Musiker nach dessen Namen. Die Antwort kam zaudernd, ja ängstlich. Zur allgemeinen Überraschung sagte dann Lachner lapidar: "Du kannst mitspielen". Das selbstherrliche Wesen Lachners ließ nicht mehr zu, als diese drei in die Stille der Orchesterunterbrechung hineingesprochenen Worte.

Wenig später ließ Lachner den jungen Musiker zu sich kommen. Wahrscheinlich empfand Ferdinand Langer dies mehr als ein "Vorreiten – müssen", aber er täuschte sich. Der große Vincenz Lachner bot dem musikalischen "Niemand" Ferdinand Langer an, zukünftig für dessen musikalische Weiterbildung verantwortlich sein zu wollen.

So geschah es dann auch. Selbst der Umstand, dass Lachner dieser selbstgewählten Aufgabe wegen anderweitigen Verpflichtungen nicht immer in befriedigender Weise nachkommen konnte und diese schließlich an Musikdirektor Dr. Hetsch weitergeben

Es dauerte nun nicht mehr lange und Ferdinand Langers Berufung mündete in den ersehnten Beruf: Er wurde zum Hofmusikus am Hof- und Nationaltheater Mannheim berufen. Seine Entlohnung bestand aus 100 Gulden Jahresgehalt.

Leider erlebte der Vater Ferdinands, der durch seinen Weitblick den Grundstock für die Musikerlaufbahn seines Sohnes gelegt hatte, diesen stolzen Tag nicht mehr. Er starb 1864 nachdem ihm wenigstens die Genugtuung widerfahren war, wieder in den Schuldienst aufgenommen worden zu sein. Ferdinand Langer beschäftigte sich neben seiner Tätigkeit als Cellist auch mit der Komposition. Erste Werke entstanden, durch deren Aufführungen Langers Popularität in Mannheim wuchs. Gleichzeitig aber verstärkten sich die schon seit geraumer Zeit immer wieder aufgetretenen Spannungen zwischen ihm und Vincenz Lachner.

War Ferdinand Langer ein glühender Verehrer des Werkes Richard Wagners, so war auf der anderen Seite Vincenz Lachner ein ebenso eifriger Kritiker des Schöpfers des Melodrams. Wagner, nicht als Musiker, sondern in Personalunion auch als Textdichter, Bühnenbildner und Regisseur völlig neue Maßstäbe setzend, stieß an der Mannheimer Bühne auf mehrheitliche Ablehnung.

Dies änderte sich nur unwesentlich, als Ferdinand Langer schließlich vom bloßen Orchestermusiker über die Station des Korrepetitors, des Chordirektors und des Musikdirektors zum Stellvertreter Lachners avancierte. Langer spielte schließlich erstmals mit dem Gedanken, den Theaterdienst aufzugeben, Freunde konnten ihn jedoch zum Verbleiben überreden.

Allerdings blieb ein gerüttelt Maß an Misstrauen zurück. Dieses Misstrauen wurde schließlich auf dramatische Weise bestätigt: Als Lachner aus dem Hof- und Nationaltheater Mannheim ausschied, um in Karlsruhe seinen Lebensabend zu verbringen, wurde allgemein die Berufung des in Mannheim längst sehr populären Ferdinand Langer zum ersten Hofkapellmeister erwartet. Aber daraus wurde nicht. Man besetzte die erste Kapellmeisterstelle vielmehr mit einem auswärtigen Musiker namens Franck.

Langer quittierte, zutiefst enttäuscht und getäuscht, den Theaterdienst. Was sollte nun werden? Längst hatte Langer eine eigene Familie gegründet, die es zu versorgen galt. Sollte sein Talent nun auf künstlerisch bedeutungsloser Ebene versickern, vergeudet werden für ein paar lächerliche Almosen?

Langer wandte sich der Chorarbeit zu und übernahm die Leistung eines jüngst gegründeten Männerchors. Außerdem erteilte er Musikunterricht, die Familie brauchte ja ein Einkommen.

Zwar war Langer in Mannheim längst heimisch geworden und hing an der Stadt und ihrer Menschen, trotzdem will es nicht so recht verständlich werden, dass er lukrative Angebote aus Stuttgart und Hamburg in einer Zeit ablehnte, als es ihm und seiner Familie wirtschaftlich nur gerade eben hinreichte.

Ja sogar die Berufung zum Chordirektor in Bayreuth, wo der von ihm so sehr verehrte Richard Wagner längst von Langer und auch von dessen hartem Schicksal wusste, schlug er aus.

Woher nahm Ferdinand Langer sein grenzenloses Selbstvertrauen?
Ahnte er die Wende?

In der Tat, einige Umstände änderten sich auf fast schon dramatische Weise. Im Jahre 1877 wurde ein neues Theater –Komitee eingesetzt, dem auch der mit Langer bereits befreundete Emil Heckel angehörte.

Heckel war ein entschiedener Anhänger Wagners und damit ein "Parteigängers" Langers. Er betrieb in Mannheim eine Klavierfabrik und einen Musikverlag *1. Heckel war mit Wagner persönlich bekannt, *2

Vorwiegend Emil Heckel ist zu danken, dass Langer wieder in den Theaterdienst eintrat. Nun war der Weg frei; Langer war nun erster Hofkapellmeister und konnte neben seinen eigenen Werken, die ihm teilweise beträchtliche Erfolge einbrachten, direkten Einfluss auf den Spielplan des Theaters nehmen. Es versteht sich von selbst, dass der Name Richard Wagners in diesem nun recht oft zu lesen war. Allmählich wurde Mannheim neben Bayreuth sozusagen zum "zweiten Tempel" Wagnerscher Kunst. Welch eine Wende !

Welch eine Wende dank Langer und Hecke! Nun darf man freilich nicht denken, dass am Mannheimer Theater nur noch Langers eigene Werke und ansonsten Wagner gespielt wurde. Immer wieder wurden auch Kompositionen und Musikdramen anderer Musiker aufgelegt. Mannheim war damals bekannt als so genanntes "Premieren- Theater" und Ferdinand Langer konnte durch seinen künstlerischen Instinkt so manches Erstlingswerk oder Neubearbeitung zu triumphalem Erfolg führen.

Von Gestalt war Langer schmächtig, feingliedrig. Seine Erscheinung verbreitete verbindliche Freundlichkeit und vermittelte etwas von der inneren Ruhe, die ihm die Kraft für seinen künstlerischen Auftrag gab. Längst erzählte man sich in Mannheim auch Geschichten über ihn, die auf sein freundlich- schrulliges Wesen hinwiesen.

Fast unnahbarer Künstler war Langer allerdings am Dirigentenpult. Dort hielt sich seine gelegentliche Kompromissbereitschaft sehr in Grenzen; beim Dirigieren wirkte er energisch und war ein perfekter Meister seines Faches.

Da er selbst komponierte und bearbeitete, kannte er die Musik sozusagen "von innen heraus", was es ihm möglich machte, das Wesen eines Werkes in der Interpretation aufzudecken.

Die konzentriert durchzuführende vielfältige künstlerische Arbeit auf höchstem Niveau forderte Langer nicht nur geistig, auch enormer physischer Einsatz war in die tägliche Arbeit einzubringen- Stress!

Anfängliche Warnsignale des zunehmend überforderten Körpers überging Langer zunächst. Als er diese Schließlich doch nicht mehr einfach "überspielen" konnte, war das letzte Kapitel seiner Lebensgeschichte bereits aufgeschlagen.

Eine zunächst leichte Erkrankung, bei der sich gelegentliche Atemnot einstellte, nahm Langer nicht sehr ernst. Doch die Krankheit verschlimmerte sich und Langer wurde schließlich ernsthaft krank. Nach scheinbarer Besserung nahm er einen Kururlaub in Kirneck bei Villingen/Schwarzwald. Seine Erkrankung war aber offenbar schon zu weit fortgeschritten. Ein heftiger Anfall raffte ihn dort hinweg.

Am 5. August 1905 schloss Ferdinand Langer für immer die Augen.

Besonders seine geliebten Mannheimer traf sein Tod im Alter von fünfundsechzig Jahren sehr schwer. Ergreifende öffentliche Nachrufe aus dem gesamten Lande, aus München, Stuttgart, Hamburg, Berlin, um nur einige zu nennen, sind Beweise für Bedeutung und Respekt, die diesem Großen der Tonkunst gehörten.

Als Komponist von Opern- es waren deren immerhin fünf- hatte Langer zeitlebens kein rechtes Glück. Waren seine musikalischen Einfälle oft noch so herrlich, sein Musikdrama scheiterte an mäßigen Texten, ein Umstand, der Langer manchmal fast in die Verzweiflung trieb, wusste er doch, dass er parallel zu seinen musikalischen Fähigkeiten nicht auch gleichzeitig das Talent zum Literaten besaß. Aber es gab auch wahre Triumphe und allerhöchste Anerkennung für andere Arbeiten. Sehr gelungen ist seine Neubearbeitung des Tanzspieles "Sylvana" von Carl Maria v. Weber. Auch die "H-moll-Messe" von Johann Sebastian Bach bearbeitete er, ein zweifellos schwieriges Unterfangen, das aber vollkommen gelang und Begeisterung und Bewunderung auslöste.

Ferdinand Langers "Konzert für Flöte und Orchester" zählte einst zum Repertoire eines jeden solistischen begabten Flötisten. Auch sein kompositorisches Schaffen für Männerchöre sei hier erwähnt. Man kann es Langer nicht zum Vorwurf machen, dass seine Chorliteratur nicht mehr dem Geist der heutigen Zeit entspricht.

Das Archiv des National- Theaters Mannheim ist im Mannheimer Reiß- Museum untergebracht. Dort liegen die Handschriftenoriginale Ferdinand Langers.

Möge es hier seiner Kunst beschieden sein, eines Tages neue Liebhaber zu gewinnen.

Karl-Ludwig Bansbach

*1 Eine Musikalienhandlung Heckel, die in der direkten Nachfolge steht, existiert noch heute in Mannheim.

*2 Ob Ferdinand Langer jemals mit Richard Wagner persönlich zusammentraf ist nicht gewiss, jedoch nach Meinung von Experten sehr wahrscheinlich. Jedenfalls gründete Ferdinand Langer zusammen mit Emil Heckel den ersten Deutschen Wagner-Verein.