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Die Jahre zwischen 1832 und 1841
Das Leimener Rathaus nach der Familie Seligmann und vor der Nutzung als Verwaltungs- und Schulgebäude
Die Geschichte des Leimener Rathauses kann trotz mancher wohl nie zu schließender Lücken als überwiegend gut erforscht und durch zahlreiche Originaldokumente als belegt gelten und wurde bereits mehrfach publiziert.
Eine Lücke klafft jedoch zwischen 1832 und 1841, also zwischen erstmaligem Verkauf des Anwesens am 24. Juli 1832 durch den Sohn des Erbauers Aaron Elias Seligmann, Simon von Eichthal nach dem Tod der Mutter und dem Erwerb des Gebäudes 1841 durch die Gemeinde Leimen als neues Schul- und Rathaus.
Zwar ist der Name des Käufers im Jahre 1832 in Gestalt des Karlsruher Bierbrauers Peter Matthäus Müller durchaus bekannt, denn der Vertrag vom 26. März 1841, mit dem er das Gebäude an die Gemeinde Leimen weiter verkaufte, befindet sich im Archiv der Stadt Leimen, aber über den Eigentümer der Jahre von 1832 bis 1841 ist nur wenig bekannt.
Das Leben Peter Müllers schilderte Martin Frey[1] ausführlich, aus seiner Arbeit werden daher die wesentlichen Passagen entnommen.
Peter Matthäus Müller wurde 1810 in Heidelberg geboren, wo sein Vater Johann Gottlieb Müller das vor dem sogenannten „Schießtor“ gelegene Gasthaus „Zum Riesenstein“ betrieb, in dem heute eine Burschenschaft ihr Heim hat.
Der Vater war wohlhabend, so dass er seinen drei Söhnen entsprechende Startchancen verschaffen konnte. Der älteste Sohn Karl übernahm 1832 das elterliche Gasthaus, der zweite Sohn Salomon studierte und erwarb sich in niederländischen Diensten hohes Ansehen als Gelehrter. Peter Müller erlernte das Brauhandwerk und konnte es sich aufgrund der väterlichen Finanzausstattung leisten, am 24. August 1832 das Palais Eichthal bzw. Seligmann für 9.000 Gulden zu kaufen, um dort eine Gastwirtschaft mit Bierbrauerei und einer Branntweinbrennerei einzurichten.
[1] Wirtschaftshemmnisse und Reformblockaden im 19. Jahrhundert am Beispiel des badischen Brauereiunternehmers Peter Müller in „Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins“, 152. Band, herausgegeben von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2004
Gezahlt wurde in Raten. 2.000 Gulden waren am Tag der Protokollierung fällig, weitere 2.500 Gulden am 1. Oktober 1832. Den Rest von 4.500 Gulden konnte Müller, „sobald als thunlich ist mit 4½ Zins an Herrn Freiherr Simon von Eichthal oder dessen Ordre bezahlen“, d. h. der Betrag wurde ihm zunächst gestundet.
Müller betrieb seine Gastwirtschaft und Brauerei im Palais Seligmann nur wenige Jahre und verkaufte es am 26. März 1841 an die Gemeinde Leimen „einschließlich Orangerie und Gemälden“ für 8.000 Gulden, wovon jedoch allein 6.000 Gulden noch an Simon von Eichthal als ausstehende Schuld inkl. Zinsen gezahlt werden mussten. Müller scheint also bereits die erste Rate nicht vollständig bezahlt zu haben, warum, ist unbekannt, es deutet aber darauf hin, dass das Geschäft nicht wie vorgestellt lief und ihm das große Gebäude in der Unterhaltung wohl zu kostspielig wurde. Wahrscheinlich sah er aber dann woanders bessere Entwicklungsmöglichkeiten, denn bereits 1839 hatte er sich in Karlsruhe niedergelassen. Vermutlich stand das Palais in Leimen daher leer und Müller war sicher erleichtert, als er einen Käufer gefunden hatte. In Leimen suchte man zu diesem Zeitpunkt einen Ersatz für das zu klein gewordene alte Rathaus, da kam das leerstehende große Gebäude wohl gerade recht.
Die Gemeinde Leimen versuchte unmittelbar nach dem Ankauf zumindest einen Teil des Kaufpreises wieder hereinzubekommen. In den „Heidelberger Tageblättern“ vom 19. September 1841 erschien eine Anzeige, in der es hieß: „In dem ehemals von Eichthal’schen, von der Gemeinde erkauften Palais werden zum Verkauf ausgeboten:
1. 5 Spiegel mit Aufsätzen, mit diesen zwischen 27“ bis 35“[1]breit und 55“ bis 67“ hoch
2. 7 Oelgemaelde, nach Raphael zwischen 50-60“ hoch und 37-50“ breit; vorstellend
1) Flora, 2) Bacchus, 3) Sylen oder die Trunkenheit mit mehreren Figuren,
4) ein Diener des Jupiter mit dem Adler, 5) der Todesbote, 6) die Liebe, in zwei Figuren, 7) ein Triumphwagen, mit mehreren Figuren
3. Zwei franz. Kamine von weißem Marmor, die in Paris gemacht wurden und 57“ breit sind, auf beiden Seiten mit Lesinen; Wände und Bodenplatten von Gusseisen.
Bei annehmbaren Geboten werden die beschriebenen Gegenstände aus der Hand verkauft; in jedem Fall aber Tagfahrt zu einer Versteigerung auf den 27. d. M., nachmittags 2 Uhr, festgesetzt. Kaufliebhaber wollen sich gefälligst beim Gemeinderath melden und an jenem Tage einfinden.
Leimen, den 13. September 1841
Das Bürgermeisteramt.
Waldbauer“
Ganz offensichtlich hatte sich das Bürgermeisteramt über das mögliche Publikumsinteresse getäuscht. Obwohl sich die Quellen über den – sicherlich unbefriedigenden - Verlauf des Versteigerungstags ausschweigen, können die damals zum Verkauf angebotenen Gemälde glücklicherweise noch heute im Rathaus
[1] „ = Zoll, ca. 2,5 cm
im Original besichtigt werden – der Spiegelsaal dient vielen jungen Paaren als stilvoller Beginn eines gemeinsamen Lebenswegs.
Müller ließ sich wie gesagt schon 1839 in Karlsruhe nieder und eröffnete in der Zähringerstraße 68 eine Bierbrauerei und die Gaststätte „Zum Römer“. Zu dieser Zeit heiratete er Barbara Clever aus Hockenheim, aus der Ehe gingen insgesamt sieben Kinder hervor.
In Karlsruhe etablierte sich Müller rasch, die Karlsruhe Bierbrauer- und Küferzunft wählte ihn zweimal zu ihrem Vorsitzenden. Zusammen mit seinem Schwager Georg Clever, dem er 1842 den Weg nach Karlsruhe geebnet hatte, baute er sein Geschäft aus. Im „Schicksalsjahr“ 1848 betrieb er zusammen mit Clever ein viel- und gut besuchtes Gartenlokal vor den Toren der Residenzstadt auf der Straße nach Mühlburg, der heutigen Kaiserallee.
Müller hatte noch aus seiner Heidelberger Jugendzeit viele Bekanntschaften mit Männern, die dort studiert hatten und sympathisierte offen mit den revolutionären Ideen, die im Februar 1848 aus Paris nach Baden schwappten und hier nicht zuletzt aufgrund der schweren Wirtschaftskrise von 1846 und der damit verbundenen Unzufriedenheit in weiten Teilen der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden fielen. Sein Untermieter in Karlsruhe war zu dieser Zeit der Redakteur Karl Blind, der zusammen mit Freunden das Karlsruher Zeughaus stürmen wollte und hierfür Arbeiter aufwiegelte. Der Plan wurde verraten und zusammen mit den Aufrührern wurden am 28. Februar 1848 auch Peter Müller und sein Schwager Georg Clever verhaftet. Der nächste Tag sah zwar alle zwei wieder auf freiem Fuß, aber die beiden waren nun aktenkundig, was sich zumindest für Peter Müller als folgenschwer herausstellte.
Er machte auch in der folgenden Zeit aus seiner Meinung keinen Hehl, etliche Zeitzeugen bezeichnen ihn als politischen Agitator. In seiner Gaststätte trafen sich zahlreiche Unzufriedene, auch viele Soldaten gingen bei ihm ein und aus. Augenzeugen schilderten das Treiben dort, das ihm dem wenig schmeichelhaften Spitznamen „Affenmüller“ eintrug und zu einer stadtbekannten Erscheinung machte. Dies führte dazu, dass es Peter Müller angeraten erschien, am 25. Juni 1849, kurz vor dem Einmarsch der preußischen Truppen in die badische Landeshauptstadt zusammen mit seiner Familie Karlsruhe zu verlassen und in Straßburg Zuflucht zu suchen. Dieser Rettungsversuch wurde zu seinem Verhängnis.
Seine geschäftlichen Unternehmungen in Karlsruhe hatte er wie die meisten seiner Zeitgenossen mit Krediten finanziert, die er bei Geschäftspartnern, Freunden und Verwandten aufgenommen hatte. Viele von ihnen hatten ihre Ansprüche weiterverkauft und diese Dritten zogen nun nach Müllers Flucht vor die Gerichte und erwirkten einen Zahlungsbefehl, dem dieser aufgrund seines Auslandsaufenthalts nicht nachkommen konnte. Nach Ablauf der Frist wurden daraufhin im Januar 1850 sein Haus und sein gesamtes zurückgelassenes Eigentum zwangsversteigert – Müller war ruiniert.
Seine Frau Barbara kehrte mit den Kindern bald darauf nach Karlsruhe zurück, wo sie durch ihren Schwager Karl Müller aus Heidelberg, den ältesten Bruder ihres Mannes, zumindest etwas Unterstützung fand. Ihr Mann Peter Müller selbst fasste nun den Plan, mit seiner Familie in die USA auszuwandern und wollte zur Vorbereitung dieses Plans noch einmal nach Karlsruhe zurückkehren, um alles hierfür Notwendige zu erledigen. Auf entsprechende Briefe an die zuständigen Behörden reagierten diese allerdings nur ausweichend. Als er im Dezember 1850 nach Baden zurückkehrte, wurde er sofort verhaftet und eingekerkert. Nach einem halbem Jahr Haft fällte ein Gericht im Juni 1851 ein hartes Urteil – wegen „hochverräterischen Unternehmungen“ wurde er zu drei Jahren Zuchthaus bzw. zu zwei Jahren Einzelhaft und zu Schadenersatz für alle Kosten verurteilt, am 10. September wurde er im Bruchsaler Zuchthaus eingeliefert.
Besonders hart traf es seine Familie. Barbara Müller, die eine Fehlgeburt erlitten hatte, musste mit den sieben Kindern in Karlsruhe von einer kargen Unterstützung leben, in deren Verlauf die Familie auch gesundheitlich schwere Schäden davontrug. Zwei Kinder erblindeten teilweise, andere litten an Nervenfieber oder Brustfellentzündungen. Zahlreiche Gnadengesuche Müllers wurde im Gegensatz zu denen anderer Revolutionären abgelehnt.
Seine ganze Hoffnung baute Müller nun auf ein Buch, in dem er seine mittlerweile über 25jährigen Brauerfahrungen niederlegte. Mit dem Erlös hoffte er, die Auswanderung finanzieren zu können und bat daher darum, die Herausgabe organisieren zu dürfen. Auch dies wurde ihm verweigert, die bereits eingegangenen Vorbestellungen daraufhin storniert. Er musste seine volle Strafe bis September 1853 verbüßen und wurde als völlig verarmter Mann entlassen.
Eine Auswanderung war unter diesen Umständen ausgeschlossen und so lebte die Familie noch über zwei Jahre in ärmlichsten Verhältnissen, da es ihm auch nicht gelang, eine Anstellung zu finden. Das Blatt schien sich im Februar 1854 zu wenden, als es ihm endlich gelang, für das Manuskript seines Buches einen Verleger in Braunschweig zu finden, mit dem er auch schnell handelseinig wurde. Schon im November des gleichen Jahres lag der Band vor. Das über 400 Seiten starke Buch erregte in Fachkreisen beträchtliches Aufsehen und avancierte rasch zu einem Standardwerk, brachte aber leider nicht die erhofften Einnahmen.
Etwa um 1856 verließ Müller mit seiner Familie Karlsruhe und begab sich zunächst nach Dresden, wo er eine Brauerei leitete. Weitere Stationen in seinem Leben waren anschließend Belgien, Frankreich und die Schweiz, wo er die bayerische Brauweise einführte. Eine eigene Brauerei gründete er nicht mehr, ob aus Mangel an Kapital oder weil ihn seine unstete Lebensweise daran hinderte, ist unbekannt. 1862 erschien eine französische Übersetzung seines Handbuches und 1869 plante er eine zweite deutsche Auflage. In diesem Jahr zog er aus geschäftlichen Gründen nach Paris, wo ihn dann der Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges überraschte. Die Feindseligkeiten führten zu seiner sofortigen Ausweisung, bei der er buchstäblich nur das mitnehmen konnte, was er am Leibe trug. Erneut stand er vor dem Aus, zumal er sein fast fertiges Manuskript in Paris zurücklassen musste und dies beim Aufstand der Kommune 1871 verloren ging.
Nach dem Krieg ließ er sich in Schiltigheim im nun deutsch gewordenen Elsaß nieder. Dort waren ab den 60er Jahren zahlreiche Brauereien gegründet worden, so dass er zusammen mit seinem Sohn Wilhelm ein reiches Betätigungsfeld fand. In Schiltigheim starb Peter Matthäus Müller in seinem 73. Lebensjahr am 8. Februar 1883.